Aufbegehren – Malerei als Lebensgefühl
Die offizielle Kunst der DDR der 80er Jahre war im wesentlichen geprägt durch das Dogma des Sozialistischen Realismus, einer routinierten figürlichen Malerei, deren Aufgabe darin bestand, die ideologische Sicht des Staates auf die Gesellschaft zu stützen und zu illustrieren.
Linde Hartmanns Malerei aber will etwas anderes. Ihre Antwort auf Zwang und Stagnation ist eine Kunst, die sich an den Verhältnissen reibt, die aufbegehrend, lustvoll und impulsiv gegen die Enge anarbeitet. In ihren Arbeiten verletzt sie bewusst und offensiv die erlernten Regeln, drängt mit kraftvoller Geste gegen die Grenze ihrer Existenz und über die Grenzen des Formates hinaus.
So spiegelt die Dynamik und spannungsvolle Komplexität der Bilder von Linde Hartmann beispielhaft ein Zeitgefühl in der DDR der 80er Jahre, einer gesellschaftlichen Stimmung im Spannungsfeld zwischen dem Machtanspruch einer verknöcherten Kaste von Politfunktionären und dem Ruf nach Öffnung, Demokratisierung, nach „Glasnost“.
Folgerichtig lautet der Titel eines der ersten Bilder, in dem Linde Hartmann den Bruch mit dem von der Leipziger Hochschule vorgegebenem Malstil offenbart „Fürchte dich nicht“.
Was nun folgt, ist kein vorsichtiges Suchen, sondern der direkte, aus dem körperlichen übersetzte Ausdruck eines kraftvollen Aufbegehrens. Die Malerei wird zum direktesten, fesselnden Abbild eines Kampfes und eines Umbruchs, das auch heute noch den Betrachter in seinen Bann zieht.
Wer die Gesamtheit der Arbeiten von Linde Hartmann einordnen und in einer kunsthistorischen Schublade unterbringen will, hat es nicht leicht. Bei der Betrachtung tut sich ein breites Spektrum von unterschiedlichen malerischen und künstlerischen Herangehensweisen auf. Die erste Einsicht ist: hier ist der Wandel das Verbindende. Linde Hartmann sperrt sich offenbar dagegen, einmalige Lösungen zu wiederholen und so eine normierte Formensprache im Sinne einer Marke aufzubauen.
Ein übergreifendes Element ist ein die Bildgrenzen sprengender malerischer Duktus, der stark von einem spannungsgeladenen zeichnerischen Herangehen geprägt ist.
Bei näherer Betrachtung erschließt sich dann im Koordinatensystem von malerischen Arbeiten, Zeichnungen und Collagen die allen Arbeiten zugrunde liegende Motivation, einem zeitgebundenem Lebensgefühl Ausdruck geben zu wollen. Unter einer Oberfläche der intensiven und meist expressiven Auseinandersetzung mit Farbe und Form finden sich eingeschrieben Emotionen, Widersprüchlichkeiten und Konfigurationen, die den Betrachter zu immer wieder neuen Deutungen des Werkes herausfordern.
Ansgar van Zeul, 2002
Hunde? Hunde!
Einen Großteil ihrer künstlerischen Produktion in den Jahren 2007 bis 2009 nennt Linde Hartmann „Spiel mit dem Hund“ und stellt die Frage, wie sehe, wie interpretiere und wie werte ich ein lebendiges Gegenüber; welche Möglichkeiten bietet die Malerei für eine derartige Untersuchung.
Auch wenn wir stets etwas Geschlossenes, Einheitliches, Verlässliches, feste Größen suchen, beeinflussen und verändern Konvention, Zeit und zweckgerichtetes Herangehen ständig unsere Wahrnehmung. Um diese Bedingtheit der Wahrnehmung, die unterschiedlichen Facetten der Betrachtung eines Gegenübers oder einer Situation, geht es Linde Hartmann in diesen Arbeiten.
Dabei ist der Hund das Mittel, um das Thema künstlerisch zu verarbeiten. Als ältester tierischer Wegbegleiter des Menschen, nicht Person aber auch kein Ding, kann der Hund eine Distanz und eine Nähe vermitteln, die den Betrachter spiegelt und auf seine Individualität verweist.
In Anbetracht unserer Ambivalenz zum Tier, der Sichtweise darauf, die abhängig von unserem Standpunkt eine sehr diametrale sein kann, die wechseln kann zwischen großer Fremdheit und tiefer Vertrautheit, stellt sich damit die Frage wer und wie wir sind.
Gedreht und gewendet, aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln betrachtet und in unterschiedlichsten Kontext gestellt, verändert sich immer wieder die Formsprache der Bilder. Sie ist jeweils der spezifischen Sicht geschuldet.
Auch der Formvorrat „Hund“ lädt zum Spielen ein, ist Ausgangspunkt für ein Spektrum unterschiedlicher und simultaner Formulierungen.
All die verschiedenen Herangehensweisen stellen die Frage nach dem fragilen Zusammenhang von Objektiven, Subjektiven und Realen, sie ermöglichen einen immer wieder neuen Zugang und fordern zum Hinterfragen verfestigter Betrachtungsweisen heraus.
In diesem Sinne ist das „Spiel mit dem Hund“ nicht weniger als ein sehr persönliches Angebot zu einer Reflexion über unsere Sicht auf die Gegenwart.
Ansgar van Zeul, im Februar 2009
„Lustwandeln“, die fast vergessene Kunst des gemächlichen und absichtslosen Streifens durch die Landschaft, dieser Titel verbindet als Metapher alle hier gezeigten Arbeiten.
Schnelligkeit und Zielfixierung engen oft unsere Wahrnehmung ein; und Fragen der Wahrnehmung sind es, die immer wieder Thema der Künstlerin Linde Hartmann sind.
Im Lustwandeln entkoppeln sich Raum und Zeit, Bilder entstehen und vergehen. Diese Art der Fortbewegung steht im krassen Gegensatz zum vorherrschenden Takt unserer an Effizienz und maximalen Output orientierten Welt.
Bei Linde Hartmann kann es der immer wiederholte Blick auf eine Mahonie vor dem Fenster sein, der zu unterschiedlicher Zeit sich mit ebenso unterschiedlichen inneren Bildern mischt und die vielfältigen Arten der Wahrnehmung des Augenblicks aufzeigt.
Wie in einer Versuchsanordnung reiht sie Bild an Bild, dem die immer gleiche lineare Grundkonstruktion zugrunde liegt. Und es beginnt ein Spiel: die Bewertung von Objekt und Hintergrund, Flächen und Formen.
Die Positiv- und Negativformen wie auch die Farbpalette verändern sich. Immer neue Assoziationsketten entstehen. Das Bild als Ausgangspunkt und Projektionsfläche zugleich.
Schon in der vorausgegangenen Serie „Only Dogs“ spielt Linde Hartmann mit Wahrnehmung und Ausdruck. Allerdings dort, indem sie ihren Standpunkt immer wieder verändert. Das Ergebnis sind Bilder, die auch formal handschriftlich der veränderten Sicht angepasst sind.
Ein weiterer Aspekt der Arbeit Linde Hartmanns ist die Vielschichtigkeit des Sehens. Das Bild, das wir uns machen, entsteht nicht durch einen isolierten optischen Prozess wie eine Fotografie. In unser Sehen sind alle Sinneserfahrungen eingeschrieben.
So finden wir in dem großformatigen Bild "Lustwandeln", das der Werkgruppe den Titel gibt, eigenartig in der Bewegung ruhende Figuren, jede in einer individuellen und gleichzeitig stilisierten Formulierung zwischen Kontemplation und Expression. Über den Bildgrund spinnt sich als zweite Ebene wie ein Netz eine Vielzahl kleiner Formen. Sie überlagern, schwirren und flirren, tanzen und taumeln und verweisen auf die Komplexität des Schauens.
Diese Strukturen verändern die darunter liegenden Farbflächen indem sie mit ihnen in Beziehung treten, sie unterordnen, sie aber auch aufladen und mit ihrer Energie anreichern. Durch die aufwändigen filigranen Überzeichnungen wird im Malprozess Zeit ganz konkret in das Bild eingeschrieben.
Lustwandeln ist der Titel, unter dem diese Bilder versammelt sind, aber auch die Umkehrung dieses Begriffs trifft auf die Arbeiten zu: Wandellust.
Die Lust am Wandel ist in Linde Hartmanns Werk Programm. Diese Lust an Veränderung und an spielerischer Verwandlung speist sich aus der Freude, in einem künstlerischen Prozess Entdeckungen zu machen und die Vielzahl aber auch Bedingtheit der Umsetzungsmöglichkeiten, die einem Sujet zu eigen sind, zum Vorschein zu bringen.
Auf diese Weise werden wir als Betrachter immer wieder überrascht und aufgefordert, verfestigte Betrachtungsweisen zu hinterfragen und an der Lust am Wandel teilzuhaben.
Ansgar van Zeul, April 2011